Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 315.png

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Komm’ aber jetzt zu Bett, Weibchen! rief der Fremde.

Geduld, sprach die Frau, ich will nur noch dem Hofhund sein Futter reichen!

Aber der fremde Mann im Bette traute ihr nicht und sprach: Nein, nein, Weibchen, du suchst mir nur zu entschlüpfen!

Da hast du ein Ende von meinem Gürtel, das magst du in der Hand halten, wenn du mir anders nicht traust, sprach sie und gab dem Fremden im Bett das Ende ihres Gürtels in die Hand.[1]

Draussen aber band sie das andere Ende um einen grossen Klotz, stieg selber auf das Dach der Hütte und nahm eine dreizackige Heugabel mit sich.

Indes ging dem Fremden in der Hütte die Geduld aus, als die Frau seines Rufens und Scheltens nicht achtete. Er riss am Gürtel und zog den Klotz zu sich ins Bett.

Die beiden Fremden waren aber niemand anders als der Böse und sein Sohn.

Jetzt huben beide an, ihre Gefährtinnen zu würgen und zu beissen.

Der Sohn sprach: Die Meine ist weich und warm wie ein Semmelbrötchen!

Der Alte sprach: Meine hart und kalt wie ein Eichenklotz!

Wie sie dem Dinge nachforschten – richtig, da war es auch ein Eichenklotz.

So friss die Kinder! rief der Junge.

Der Böse tappte bis vor den Ofen und suchte die Kinder zu greifen, aber es gelang ihm nicht.

Woran hapert’s, Alter? fragte der Sohn.

Der Böse antwortete: Ja, es ist mir so, als ob ich sie grad’ erwischte – aber es steckt ein Zauber davor!

Such’ die Mutter auf! rief der Junge.

Jetzt ging der Böse der Mutter nach und wollte auf das Dach der Hütte hinauf, die Frau aber stach ihn mit der dreizackigen Gabel in den Leib. Heulend und fluchend prallte der Böse zurück und schrie: Sohn, zu Hilfe!

Der Junge, welcher von des Alten Beute gern noch sein Teil gehabt hätte, sprang geschwind aus der Hütte und eilte dem Alten zu Hilfe.

Da krähte ein roter Hahn.[2]


  1. Den Teufel im Bett hat man sich nahe bei der Thür der engen Hütte postiert zu denken. Da nun der esthnische Frauengürtel von beträchtlicher Länge ist, so genügt er der ihm hier zugewiesenen Aufgabe ausreichend.
  2. Der Hahn war dem obersten esthnischen Gotte geweiht und wurde ihm an bestimmten Tagen unter einem Baume (Linde) auf steinernem Altar von dem Hausherrn geopfert. Man tötete den Hahn, verbrannte die Federn, Füsse und das Eingeweide und liess das Fleisch sieden; dasselbe durfte während des Siedens von keines Menschen Hand berührt werden. Dann ward die bereitete Speise von dem Opferer auf entblössten Knieen zum Altar getragen und ein Teil davon daselbst belassen, der Rest aber von dem Hausherrn (Priester) allein verzehrt. – Der schwarze Hahn tritt auch im esthnischen Volksliede und Märchen als Opfer für die dunkle unterirdische Macht bedeutsam hervor; eine so bestimmte dreifache Farben- und dementsprechende Qualitätenunterscheidung, wie sie hier in unserem Märchen vollzogen wird, kehrt aber seltsamerweise nur in einem euböischen Märchen wieder. Da heisst es (bei J. G. v. Hahn, Griech. und albanes. Märchen No. 83): „Es war einmal ein armer Mann, der schlief zur Erntezeit auf seiner Tenne. In der Nacht kamen drei Neraiden und tanzten auf der Tenne, bis bei [316] Tagesanbruch die Hähne krähten. Zuerst krähte der weisse Hahn; da sprachen sie zu einander: es ist der weisse, der mag krähen! und tanzten weiter. Darauf krähte der rote und sie sprachen zu einander: es ist der rote, der mag krähen! und tanzten weiter. Endlich krähte der schwarze; da riefen sie: jetzt ist es Zeit, unsere Flügel zu nehmen und aufzubrechen! und flogen weg.“ Ein slavisches Vermittelungsglied für diese wunderliche Übereinstimmung habe ich auch in der ganzen russischen Märchenlitteratur, die schwerer zu überblicken ist als die südslavische, nicht entdecken können.
Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_315.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)