Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 358.png

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wissen, was in der Welt vorging. Der Hase erschien auch sofort und erzählte dem jungen Könige, sein Vater habe den Krieg glücklich beendet und seine Tante habe so viel gewebt, dass sie glaube, sie könne damit die ganze Welt bekleiden. Sie habe überallhin Boten gesandt, welche die Leute zählen sollten. Wenn ihr Gewebe zureiche, so werde sich der König mit ihr vermählen

Wiederum nach einiger Zeit begab sich der junge König zum Hasen und fragte ihn, was in der Welt vorgehe. Der Hase sagte: „Deiner Tante ist es gelungen, die ganze Welt zu bekleiden; morgen soll die Hochzeit sein.“ Der junge König wurde darüber ungehalten, zog mit einem Teile seiner Leute zu der Tante, welche ihn aber nicht kannte, und forderte für sich und seine Begleiter Kleidung. Da die Tante kein Gewebe mehr besass, so musste sie wieder an ihren Webstuhl, aus der Hochzeit aber wurde nichts. Der junge König zog mit seinen Leuten wieder nach Hause.

Einige Zeit darauf ging der junge König von neuem zum Hasen und fragte ihn, ob sich Wichtiges in der Welt zugetragen habe. Der Hase erzählte ihm: „Deine Tante, welche der König heiraten will, wenn sie so viel gekocht hat, dass sie alle Welt auf einem Tanzvergnügen bewirten kann, schickt überallhin Boten mit Einladungen, denn sie glaubt, dass sie jetzt genug Speisen gekocht hat.“

Der junge König beschloss, sich mit allen seinen Leuten bei dem Mahle einzufinden. So kam es, dass die Speisen nicht zulangten und aus der Hochzeit nichts werden konnte. Auch diesmal hatte sich der junge König nicht zu erkennen gegeben, sondern war ruhig in sein Reich zurückgekehrt.

Hier lebte er zufrieden und glücklich bei seiner Mutter. Allein diese wünschte, dass sich ihr Sohn vermählen möchte, aber nur mit einem jungen Mädchen, welches durch seine Schönheit alle anderen Jungfrauen überträfe und goldene Augen und silberne Haare habe.

Der junge König fand keine Jungfrau, welche den Wünschen seiner Mutter entsprach. Deshalb ging er eines Tages betrübt zu dem Hasen und klagte diesem sein Leid. Der Hase sagte: „Da werde ich Dir helfen können.“ Nach diesen Worten überschlug sich der Hase, für den endlich die Zeit der Erlösung gekommen war, dreimal, darauf stand eine Jungfrau von wunderbarer Schönheit, mit goldenen Augen und silbernem Haar vor dem erstaunten König. Erfreut führte dieser die holde Jungfrau zu seiner Mutter. Am folgenden Tage wurde die Hochzeit mit grosser Pracht gefeiert.

Nun aber sehnte sich auch die Mutter des Königs zurück nach ihrem Gemahl. Der junge König zog mit seiner schönen, jungen Gemahlin und Mutter zu seinem Vater und erzählte ihm alle Vorgänge. Die Freude des Königs war gross, als er seine Gemahlin wiedersah und ihre Unschuld erfuhr. Die Königin verzieh ihren beiden Schwestern den Betrug, welchen diese ihr gespielt hatten, denn schliesslich war doch alles noch gut gegangen.

Nach dem Tode seines Vaters übernahm der junge König die Regierung über beide Reiche und war fortan der mächtigste Herrscher in allen Landen.

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_358.png&oldid=- (Version vom 9.9.2019)