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Die Höhlenzwerge.
Von
H. CARNOY.
Übersetzt von Edmund Veckenstedt.

Die Kenner der Volksüberlieferung sind mit der Rolle vertraut, welche die Zwerge in den Sagen und im Volksglauben spielen. Diese Wesen der Einbildungskraft, die kleinen Leute und Pygmäen werden in der Erinnerung des Volks gar häufig mit den Elfen verschmolzen, den Kobolden und den untergeordneten Geistern der Seen, der Quellen, der Haine wie der Felder.

Der Zug nun, welcher die Zwerge als solche kennzeichnet, ist, dass sie ihr Dasein im Innern der Grotten und Höhlen verbringen. Meistens sind die Zwerge, – Kobolde, Gnomen, Trolle – Metallarbeiter, Hüter der verborgenen Schätze, der Gold-, Silber- und Kupferminen, der geheimnisvollen Orte in der Tiefe, an welchen die edlen und kostbaren Steine gebettet sind.

Den Glauben an die Geister der Bäume, der Quellen und des Haines vermag man sehr wohl als eine Um- und Weiterbildung fetischistischer Vorstellungen zu verstehen; aber dann bleibt immer noch die Frage: was haben die Höhlenzwerge für einen Ursprung, die Wächter der Metalle?

In der frühesten Zeit haben die Menschen in Höhlen gelebt.

Nun ist aber nicht recht wahrscheinlich, dass sich in dieser Zeit der Glaube gebildet hat, welcher Bezug hat auf die Geister der Höhlen.

Aber kann sich ein solcher Glaube nicht bei denjenigen Völkern gebildet haben, welche im Gewerbebetriebe vorgeschritten und an die Stelle der Höhlenbewohner getreten waren, die als Hüttenbewohner vor den düstern Zufluchtsstätten, welche an den Seitenabhängen der Gebirge sich befanden, nur Furcht und Schrecken empfinden konnten?

Dass diese Völker mit den Höhlen fetischistische Vorstellungen verbunden haben, wird uns nicht gerade erstaunlich vorkommen; dass man später die Grotten mit besonderen Geistern bevölkert hat, das beweisen die Vorstellungen, welche man mit den Schutzorten unter den Felsen verbindet; aber man versteht nicht recht, weshalb diese Höhlengeister eigentlich durchgängig als Pygmäen angesehen wurden, welche mit der Bearbeitung der Metalle in Verbindung standen.[1]

Lässt sich für einen solchen Ursprung etwa ein natürlicher Grund finden? Die Ansicht, welche ich hierüber entwickeln werde, ist, wohl verstanden, nur eine Vermutung und ich würde zufrieden sein, wenn dadurch


  1. Die Cyklopen waren jedoch Riesen.
Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_409.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)