Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 428.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

verloren sein sollten; deshalb machten sich die Frauensleute in der Wirtschaft darüber her und rissen den toten Gänsen die Federn aus, dann schmissen sie die Toten auf den Mist.

Es währte aber kaum einige Stunden, da wurden die Toten wieder lebendig, denn die Gänse waren nicht tot, sondern nur betrunken gewesen. Die Trunkenheit war aber davon gekommen, dass die Gänse Spiritus aufgeschnattert hatten, denn der Wirt hatte an dem Tage solchen im Hofe abgezogen und dabei war es gekommen, dass die Gänse sich über die Trippe hergemacht hatten.

Also die Gänse waren wieder lebendig geworden, aber da sie ihre Federn verloren hatten, so kannte eine Gans die andere nicht mehr, sie hielten sich gegenseitig für fremde Eindringlinge in dem Gehöft. Wie nun die Gänse bei solchen Gelegenheiten zu thun pflegen, erhoben die Wiedererwachten ein gewaltiges Geschrei; eine schnatterte die andere immer lauter an als die erste, so dass sich auf dem Hofe ein Höllenlärm erhob.

Nun war es an dem Tage gerade sehr kalt. Der Wirt ärgerte sich wohl über den Lärm, welchen die Gänse vollführten; mehr aber dauerte ihn noch, dass die armen Tiere nun keine Federn mehr hätten und frieren müssten. Deshalb liess er sogleich acht Hammel schlachten und jeder Gans ein Hammelfell umlegen. Also waren dieselben durch die Klugheit des Wirtes von Tuschkau vor der Kälte geschützt.


Die Kuh im Roggen.

Einstmals hatte sich auf der Feldflur von Tuschkau eine Kuh im Roggen verlaufen. Die Leute hätten die Kuh wohl gern wieder aus dem Roggen herausgetrieben, aber sie fürchteten, dass der, welcher dies unternähme, zu viel Getreide zertreten würde. Da ordnete der Ortsvorsteher an, dass eine Tragbahre geholt werde. Sobald dieselbe zur Stelle war, setzte man den Hirten darauf, mit der Peitsche bewaffnet; vier Mann hoben die Bahre mit der Last auf und trugen den Hirten im Korn nach der Stelle zu, wo sich die Kuh befand. So gelang es dem Hirten, die Kuh aus dem Roggen zu treiben, ohne dass er einen Halm zertreten hatte.


Der Sichelwurm.

Eines Tages fuhr ein Plunderfahrer die Feldflur der Tuschkauer entlang. Wie solche Leute das zu thun pflegen, welche sich Gras und Getreide von den Wiesen und Feldern abschneiden, wo es ihnen bequem ist, wenn sie nur niemand sieht, so erspähte auch hier unser Plunderfahrer die Gelegenheit, und als er weit und breit niemand im Felde erblickte, schnitt er von dem nächsten Felde soviel Roggen ab, als er in seinem Wagen unterbringen konnte als Futter für sein Pferd, hatte aber doch über aller Arbeit vergessen, die Sichel wieder mit in den Wagen zu nehmen, vielmehr auf dem Felde liegen lassen.

Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_428.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)