Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 429.png

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Nun geschah es, dass nach einer Weile ein Bauer daherkam. Als dieser sah, dass von dem Roggenstück Getreide fehlte, ging er hin zu sehen, wie das gekommen sei. Da sah er am Roggen die Sichel liegen. Ein solches Ding war ihm unbekannt; er hielt sie vielmehr nach ihrer krummen Schneide für ein Tier. Eiligst lief er nach Tuschkau zurück und erzählte dort, draussen auf dem Felde liege bei dem Roggen ein grosser Wurm, welcher schon eine ganze Strecke von dem Roggen aufgefressen habe.

Als die Bauern das hörten, bewaffneten sie sich mit Sensen, Forken und Knütteln, und zogen aus, den bösen Wurm zu bekämpfen. Auf dem Felde sahen sie auch den Wurm ruhig bei dem Roggen liegen; es war augenscheinlich, dass er sich satt gefressen hatte und nun sonnte.

Die Tuschkauer umstanden das Tier erst ratlos, dann fasste sich endlich einer von ihnen ein Herz und wollte dem Untier mit aller Macht seine Forke in den Leib rennen, aber als die Forke auf den Wurm traf, da klang es, wie wenn Eisen auf Eisen schlägt, die Sichel aber sprang in einem Bogen davon. Da sahen alle, wie das Tier sich bewegte, und als es nicht auf sie zugefahren, sondern davongeflogen war, so meinten die Tuschkauer, der Wurm sei feige. Jetzt wurden auch die Feigen beherzt und einer nach dem andern stach und schlug auf den Wurm los, welcher nach jedem Schlag bald hierhin flog, bald dorthin sprang. Plötzlich aber geschah etwas Furchtbares: eben hatte nämlich der Wurm wieder einen heftigen schräg geführten Schlag bekommen, da sprang er einem der Helden an den Hals und biss sich dort so fest, dass das Blut nur so aus der Wunde spritzte. In seiner Angst lief der Tuschkauer in den nahen Fluss, weil er hoffte, das Tier werde im Wasser von ihm lassen, aber es kam anders; mochte der Gebissene zu viel Blut verloren haben oder in eine zu tiefe Stelle geraten sein – man weiss es nicht, genug Bauer und Wurm kamen im Wasser um, also dass niemand mehr von ihnen etwas gesehen hat.


Die Tuschkauer kaufen eine Katze.

Die hier mitgeteilte Überlieferung berichtet, dass die Tuschkauer, welche nur polnisch sprechen, von einem Deutschen eine Katze kaufen und zwar gegen die Mäuseplage. Sie haben bei dem Kauf vergessen zu fragen, was die Katze frisst und laufen nun dem abziehenden Fremden nach. Dieser versteht die polnisch Redenden nicht und fragt: „Was?“ Was heisst aber polnisch „Euch.“ In ihrer Furcht greifen die Tuschkauer zu Knüppel und Forke, das Tier zu erschlagen oder zu erstechen und zünden endlich das Haus an, in welches die Katze geflüchtet ist. Das Feuer greift um sich, Tuschkau geht in Flammen auf.

Wir haben somit in allen wesentlichen Beziehungen in Tuschkau die Überlieferung der Mazuren, welche uns früher Heft 4, 5 – Sagen und Märchen aus Ostgalizien und der Bukowina – gebracht hat.

Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_429.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)