Seite:Zeitschrift fuer Rechtsgeschichte Germ. Abt. Bd 20 175.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Denn nicht nur dass einzelne Wahlen ganz unter kirchlichem Einflusse zustande gekommen waren, die Päpste nahmen überhaupt für sich, wie gegenüber den canonischen Wahlen, das Recht in Anspruch, die Würdigkeit des Gewählten, aber auch die Rechtmäßigkeit des Wahlvorganges zu prüfen. Bei dieser Sachlage empfahl es sich jedenfalls sehr, für das Wahlverfahren, soweit es anging, jene Normen zu Grunde zu legen, die bei den kirchlichen Wahlen hergebracht waren. Aber der Anschluss an kirchliche Einrichtungen war, und das hat Bresslau nicht in Betracht gezogen, auch ein unbewusster. Er war das Ergebniss jenes tiefgehenden Einflusses, den die Kirche und ihr Recht in jenen Tagen auf alle weltlichen Verhältnisse ausübte. Von Haus aus stand ja das canonische Recht auoh in Deutschland auf dem Gebiete der Kirche in lebendiger Geltung. Infolge der Allmacht der Kirche griff es aber auch auf weltliche Lebensverhältnisse über. Wir sprechen nicht von der weiten Ausdehnung kirchlicher Gerichtsbarkeit im Mittelalter. Aber wir erinnern uns daran, dass gerade der Klerus, der in Schule und Praxis die reichen Schätze der ihrerseits wieder so vielfach auf dem römischen Rechte fussenden canonistischen Wissenschaft, die auf ihr aufgebaute neue kirchliche Gesetzgebung kennen gelernt hatte, auch an der deutschen Reichsverwaltung grossen Antheil besass. Das Schreibwesen lag ja ganz in geistlichen Händen; Kleriker verschiedenen Ranges waren die Notare der königlichen und fürstlichen Kanzleien; Geistliche sassen im Rathe des Königs und der Fürsten. Die Classe der Reichsfürsten selbst setzte sich zum Theile gerade aus hohen Kirchenbeamten zusammen, und namentlich die drei rheinischen Erzbischöfe hatten längst gewisse Vor- und Ehrenrechte bei der Wahl und Krönung des neuen Königs.

So kann es uns nicht wunder nehmen, dass, wie auch Lindner[1] wieder hervorhebt, die für kirchliche Zwecke erfundenen Formeln zum Theile vielleicht ganz unbewusst auch auf die Wahl des deutschen Königs angewendet wurden. Aber es geschah noch mehr. Nicht wahllos schloss man sich an die kirchlichen Einrichtungen an, und nahm

  1. Hergang S. 10 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_175.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)