Seite:Zeitschrift fuer Rechtsgeschichte Germ. Abt. Bd 20 176.JPG

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die daselbst zur Entstehung gelangten Rechtsnormen in Bausch und Bogen herüber, sondern man berücksichtigte im Zuge der ganzen Entwicklung doch immer die eigenen Verhältnisse[1]. Gar keinen Anklang fanden die kirchlichen Wahlformen per compromissum und quasi per inspirationem. Man schloss sich nur der Scrutinialwahl einigermassen an, ohne aber eine Abstimmung über mehrere Candidaten zuzulassen, was wir als den eigentlichen Zweck dieser Wahlform ansehen müssen. Vielmehr hielt man entgegen den kirchlichen Normen noch lange Zeit an dem althergebrachten Charakter der unbedingten Einhelligkeit der Wahlen fest, und als man endlich die Majoritätswahl zuliess, geschah dies in einer, wie wir im Abschnitte III sehen werden, ganz eigenen Weise. Man wählte keine Scrutatoren aus und nahm überhaupt die Abstimmung in einer von den kirchlichen Wahlen verschiedenen Form vor[2].

Andere Formalitäten hingegen fanden in Deutschland bei den Königswahlen Eingang und auch einzelne neue Rechtssätze wurden im Laufe der bis zur goldenen Bulle fast nur gewohnheitsrechtlichen Bildung aus dem fremden Rechte in das deutsche Staatsrecht aufgenommen. Diese Beeinflussung durch die fremden Rechte, namentlich durch die mittelalterliche theils auf römischer, theils auf canonistischer Basis fussende Corporationslehre wollen wir im Folgenden an zwei Punkten näher darlegen:

1. in der Frage nach der Ausbildung einer einzigen, allgemein verbindlichen Wahlhandlung;

2. in der Frage nach der Zulässigkeit von Majoritätswahlen.

  1. Auch Bresslau betont, dass die Entlehnung der kirchlichen Formen nur „soweit es anging“ stattgefunden habe. S. 141.
  2. Die Auswahl von drei Scrutatoren wäre ja bei der geringen Zahl von Wählern sehr unzweckmäßig gewesen. Es ist uns für die Zeit nach 1257 überliefert, dass ein Kurfürst die Stimmen abfragte. Dass dies heimlich geschah, wissen wir nur für die Wahl Friedrichs des Schönen (Bresslau a. a. O. S. 129). Auch gibt der Scrutator anders als nach canon. Recht die Stimme nicht zuerst, sondern zuletzt ab. Nach der goldenen Bulle fragt Mainz erst die anderen Kurfürsten und wird dann von ihnen befragt. Vgl. die goldene Bulle cap. II. i. f. und Lindner, Hergang S. 14.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_176.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)