Seite:Zeitschrift fuer Rechtsgeschichte Germ. Abt. Bd 20 186.JPG

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III.

In der Frage nach der Geltung des Majoritätsprincips haben wir zunächst die eigenartige Fassung, die dasselbe im deutschen Rechte erfahren hat, in Erwägung zu ziehen. Nach der Auffassung des älteren deutschen Rechtes[1] galt in genossenschaftlichen Verbänden die Gesammtheit der Genossen in ihrer wirklichen oder gedachten Versammlung als Rechtssubject, und der Wille dieser in greifbarer Weise zugleich vielköpfigen und doch einheitlichen Versammlung war der Gesammtwille des Verbandes. Er kam in der Weise zu Stande, dass alle Anwesenden ihre Willensmeinung in bestimmter Richtung hin abgaben. Nach aussen hin war der Beschluss daher immer ein einmüthiger. Diese Einstimmigkeit erreichte man aber, abgesehen von dem Falle, wo ein Eingriff in feste Sonderrechte des einzelnen beschlossen wurde, auf ganz eigene Weise. Es setzte sich hier allmählich die Geltung des Stimmenmehrs durch. Der Majoritätsbeschluss besass aber an sich keinerlei bindende Kraft, der Wille der Mehrheit war nicht etwa die verfassungsmässige Form, in der sich der Wille der juristischen Person zu äussern hatte, sondern die Stimmenmehrheit bildete nur das Mittel, durch das man zur Einhelligkeit zu gelangen trachtete, indem anfangs der stärkere Wille gütlich oder zwangsweise die Widerstrebenden auf die stärkere Seite zog, späterhin aber in einer Reihe von Beziehungen das Recht selbst den schwächeren Theil dazu drängte, gegenüber dem gemeinen Willen des überwiegenden Theiles die Sondermeinung aufzugeben, den laut gewordenen Widerspruch fallen zu lassen, und ebenso zu wollen wie die Mehrheit.

Solange bei Urtheilsfindungen Waffengeklirr und Zuruf üblich waren, mochte der billigende oder missbilligende Klang den Widerspruch übertönen, so dass man zuletzt nur eine Stimme hörte, in der sich das Urtheil der Gesammtheit

    electionis voce seu iure, quod in esdem electione habuit et tali modo deseruit, careat ea vice. Altmann und Bernheim a. a. O. S. 52 Pkt. 18. Vgl. auch unten S. 206 Note 4.

  1. Eingehend handelt über die Lehre des germanischen Majoritätsprincips Gierke, Genossenschaftsrecht, Bd. II. S. 51 ff., 475 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_186.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)