Seite:Zeitschrift fuer Rechtsgeschichte Germ. Abt. Bd 20 189.JPG

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Candidaten eine überwiegende Mehrheit vorhanden, dann entfernte sich regelmäßig die Minderheit und nahm an der Schlusshandlung gar nicht theil[1]. Die Widerstrebenden gaben aber dann später ihren Widerspruch auf und erkannten den ohne ihr Zuthun Gewählten als König an. Sie konnten aber auch sich selbst als Versammlung constituiren und zu einer eigenen Wahl schreiten; dann besass das Reich zwei Könige, die nun um die Krone zu kämpfen hatten. So kam es, dass zwiespältige Wahlen nur aus getrennten Lagern, nie aber aus einer Versammlung hervorgehen konnten, und dass im Endeffecte jede Königswahl eine einmüthige, das Wahlurtheil immer ein gemeines war[2].

Im Folgenden wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, ob man in Deutschland bei der fortschreitenden Verengerung des Wahlcollegiums an diesem Gedanken festgehalten hat, oder ob sich hier etwa ein Anschluss an romanistische oder canonistische Theorien, namentlich an die eigenartige Fassung des kirchlichen Majoritätsprincips nachweisen lässt. Zu diesem Zwecke wollen wir zunächst einige Worte der Entwicklung des Majoritätsgedankens in der Kirche selbst widmen. Für die ältere Zeit haben wir auch im kirchlichen Leben auf germanischem Boden vielfach Anhaltspunkte dafür, dass die Wahlen einmüthig erfolgten[3], und die Ansicht

  1. Vgl. die Berichte über die Wahlen Heinrichs II., Conrads II. und Lothars III.
  2. Es ist bis 1198 zu keiner Doppelwahl gekommen. Immer unterwarfen sich die der Kur fernegebliebenen oder widerstrebenden Grossen schliesslich doch dem neuen Oberhaupte, so z. B. die Herzoge von Schwaben und Baiern dem Könige Heinrich I., die. Anhänger des jüngeren Conrad dem Könige Conrad II., Friedrich von Schwaben dem Könige Lothar III. Vgl. Waitz-Seeliger, VG. VI. Bd. S. 204.
  3. So schon die Briefe Hincmar’s von Rheims in der Patrologia latina Bd. 126. Sp. 269 u. 270. Aber auch späterhin wurde an dem Erfordernisse der Einmüthigkeit bei kirchlichen Wahlen festgehalten. Vgl. Zöpffl, Die Papstwahlen S. 50 ff., Mühlbacher, Die streitige Papstwahl des Jahres 1130, S. 149 ff., endlich Bresslau a. a. O. S. 138. Bis vor die Doppelwahl des Jahres 1130 wurde die Einhelligkeit der Papstwahl als unerlässliche Bedingung für die Giltigkeit der Wahl betrachtet. Der Widerspruch eines Cardinals genügte dazu, um die Erhebung eines Candidaten auf den päpstlichen Stuhl unmöglich zu machen. Seit 1130 lagen die Dinge anders. Zwar wünscht sogar noch die Decretale „Licet de vitanda“ Alexanders III. (1179) Einhelligkeit
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_189.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)