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Praxis bei Entscheidung zwiespältiger kirchlicher Wahlen auch noch in einer den thatsächlichen Verhältnissen gar nicht entsprechenden Weise die Behauptung aufgestellt wurde, dass Otto IV. ebensoviele oder noch mehr vornehme Wähler auf seiner Seite hätte, die nachträglich seiner Wahl beigetreten wären. In den folgenden Kundgebungen der Curie dagegen wird immer wieder der Hauptwerth auf die persönliche Eignung Ottos gelegt und der Hinweis auf die Mehrheit der Wähler lediglich zu dem Zwecke eingefügt, um den Vorwurf zu entkräften, als hätte der Papst das fürstliche Wahlrecht verletzt.

Der erste, der sich offen an das canonische Mehrheitsprincip anschloss, war Alfons von Castilien. Und er hatte gute Gründe dafür. Die Rechtsbelehrung, die Richards Räthe über die bei der Königswahl beobachteten Gewohnheiten dem Papste vorlegten, kennt – und dies sogar für Doppelwahlen – nur die Form, dass die an einem Orte versammelten Wähler einmüthig vorgehen; sie enthielt aber auch zu Ungunsten Alfons die allerdings ganz willkürlich erfundene Bestimmung, dass bei der Wahl mindestens zwei Kurfürsten anwesend sein müssen, und dass die Wahl binnen

Jahr und Tag seit Erledigung des Thrones vorzunehmen sei[1]. Da musste nun die Berufung auf die maior et sanior pars den im canonischen Rechte gut bewanderten Räthen des Königs um so vortheilhafter erscheinen, als ja die Curie gerade auf eine durch auctoritas und zelus ausgestattete Mehrheit stets das grösste Gewicht legte. Während Alfons, wie erwähnt wurde, in dem Schreiben an die Bürger von Siena seine Wahl selbst noch als einmüthige bezeichnete, wurde in dem Berichte, den die Räthe dieses Königs an den

    Königswahlen S. 30 ff., der vermuthet, dass die Theorie Innocenz III., die er auf die Entscheidung des deutschen Thronstreites anzuwenden drohte und schliesslich wirklich anwandte, auf einem ganz bestimmten Canon beruhte, nämlich auf dem Schreiben Papst Leo I., das von dem Prüfungsrechte des Metropoliten bei zwiespältigen Bischofswahlen spricht, wobei schliesslich gegenüber dem Proteste der Reichspartei die Prüfung der Person des Gewählten vor jener der Wahl in den Vordergrund gestellt wurde. Vgl. zum Folgenden auch Seeliger in M. Bd. XVI. S. 80 ff. und Bresslau a. a. O. S. 140.

  1. MG. Const. Bd. II. S. 525 Z. 20 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_194.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)