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einer Majoritätswahl gesprochen. Es ist dies ein Stück, das auch sonst für die Erkenntnis der deutschen Verfassungsgeschichte die grösste Bedeutung hat. Durch diese Urkunde wurde der Pfalzgraf bei Rhein als Reichsvicar mit der Verwaltung der österreichischen Länder im Falle eines Interregnums betraut und zwar so lange, „quousque R. imperio de principe sit provisum per eos vel maiorem partem eorum, ad quos provisio huiusmodi noscitur pertinere“[1]. Die Erklärung dieses Passus ist keineswegs eine leichte. Dass Rudolf, wie Harnack[2] meinte, da er die Giltigkeit seiner Wahl und das Kurrecht von Böhmen gleichzeitig aufrecht erhalten wollte, künstlich zum Majoritätsprincip gedrängt worden sei, scheint mir nicht zutreffend. Dagegen spricht doch schon die erwähnte Urkunde vom 15. Mai 1275, die in dem Streite zwischen Bayern und Böhmen über den Besitz der Kurstimme ausdrücklich zu Gunsten Herzog Heinrichs von Bayern entschieden hatte[3]. Es will auch nicht recht gelingen, diese Urkunde als Aeusserung des germanischen Majoritätsgedankens aufzufassen, wobei dann die Folgepflicht als etwas Selbstverständliches einfach mit Stillschweigen übergangen worden wäre; denn die Urkunde erwähnt ausdrücklich zwei Wahlformen, das Einstimmigkeits- und das Majoritätsprincip. So drängt sich mir denn die Vermuthung auf, dass dieser Passus anderswoher entlehnt wurde, wo er allerdings ganz zutreffend sein konnte, nämlich aus einer kirchliche Wahlen betreffenden Urkunde. Darauf deutet m. E. schon das der Reichsverwaltung sonst nicht geläufige Wort „provisio“, das im kirchlichen Geschäftsverkehr die grösste Rolle spielte. Gerade im 13. Jahrhundert ergingen von Rom aus zahllose mandata de providendo[4]. „Provisio“ ist der technische Ausdruck für Verleihung eines kirchlichen Amtes, und auch die Construction des Zeitwortes „providere“ mit der Präposition „de“ lässt sich mehrfach in

  1. Die undatirte Urkunde ist bei Altmann und Bernheim a. a. O. S. 27 abgedruckt. Richtiger Ansicht nach ist dieselbe in den December 1276 zu setzen. Vgl. darüber auch Redlich in M. Ergänzungsband IV. S. 135 und jetzt in den Regesta imperii zu Nr. 649, dessen Ansicht ich mich anschliesse.
  2. Kurfürstencollegium S. 62 Anm. 3.
  3. Siehe oben S. 196 Note 3.
  4. Hinschius Kirchenrecht Bd. III. S. 113 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_199.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)