Seite:Zeitschrift fuer Rechtsgeschichte Germ. Abt. Bd 35 073.jpg

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Mit anscheinend größerem Recht könnte man uns einwerfen, daß dieselbe Konstruktion des Wortes „wederstan“, wie sie bei der früheren Erklärung Platz greifen würde, nämlich mit dem Dativ der Person und dem Genitiv der Sache, sich in einer andern Stelle des gleichen Buches des Sachsenspiegels findet. Wo vom Recht des Fronboten die Rede ist, heißt es III, 56 § 2: „wederstat man ime rechtes“, d. h. leistet man ihm Widerstand bei der Ausübung seiner rechtmäßigen Amtshandlungen, usw. Die Analogie ist unverkennbar. Kann sie uns aber veranlassen, unsere Stelle grammatisch in gleicher Weise zu konstruieren? Mit anderen Worten: müssen wir, weil in einem Falle unzweifelhaft „wederstan“ mit einem Dativ der Person konstruiert ist, dieselbe Konstruktion auch in einem andern Falle voraussetzen, wo sich allerdings auch ein Dativ der Person findet, für den aber auch eine andere Beziehung, die auf „helpen“, naheliegt? Ich kann der Analogie keineswegs diese zwingende Kraft zugestehen.

Unabweisbar aber erscheint mir meine Deutung, wenn wir den Zusammenhang in Betracht ziehen, in den unser Satz eingefügt ist. Der ganze Artikel handelt von Fällen, in denen man gewaltsame Handlungen gegen solche Personen begehen kann, denen man zu Treue verpflichtet ist, ohne diese Treue zu verletzen. Im ersten Paragraphen dieses Artikels, III, 78 § 1, wird gesagt, daß der König oder der Richter, der über Leib und Leben oder über das Erbe seines Magen oder seines Mannes richtet, damit seine Treupflicht nicht verletzt. Daran schließt sich unser § 2 sachgemäß aber nur dann, wenn er den von uns gedeuteten Inhalt hat: Wie König und Richter nach § 1 keinen Treubruch gegen Mage oder Man begehen können, indem sie ihres Richteramtes walten, so können auch deren Gerichtspflichtige durch Leistung der schuldigen Rechtshilfe einen Treubruch gegen Herren oder Magen nicht begehen. Wird hier bestimmt, daß die Rechtshilfe in jeder Weise, „to aller wis“ erfolgen kann, ohne daß dadurch eine Treupflicht verletzt werden könne, so werden dann in den folgenden beiden Paragraphen noch zwei besondere Fälle solcher Rechtshilfe erörtert, die Verfolgung und Festnahme des

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Karl Zeumer: Das vermeintliche Widerstandsrecht gegen Unrecht des Königs und Richters im Sachsenspiegel. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1914, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_35_073.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)