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Auge unsichtbar. Die Vernunft, die nur aus Erfahrungen und nach der Analogie schließt, weiß an Data und Aehnlichkeiten dieses Lebens (etwa die einzige Entwickelung der Raupe zum Schmetterling) so wenig sichere Schlüsse über den künftigen Zustand der Erdebewohner zu heften, daß sie sich begnügen muß, aus allgemeinen Grundsätzen, die hie und da wirklich zu viel beweisen, oder noch kräftiger, aus der ganzen Gestalt unsrer Natur, aus der moralischen, hier ziemlich unbefriedigten oder unvollendeten Anlage des Menschen fortzuschließen. Zuletzt also, wenn sie keinen andern Wegweiser annehmen will, läßt sie Ahnungen und Wünsche für Hoffnungen gelten, die dem Gemüth des Verlangenden und dem moralischen Zweck dieses Lebens gnug sind, selten aber die Phantasie, die sich ihr Gemählde mit allen Farben ausmahlen möchte, befriedigt. Es ist daher kein Volk der Erde, das sich nicht nach seinen Wünschen und Lieblingsbegriffen dies Gemählde

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/120&oldid=- (Version vom 1.8.2018)