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Traumes voll, setzte ihn in der Einsamkeit, weil sie das Vieh hütete, fort, bis man sie, nach lebhaften Aeußerungen darüber, einschloß, da sie dann natürlich – bei der ersten Gelegenheit entwischte. Nach drei Wochen fand man sie in der Tiefe eines Waldes, mit niedergelassenen Händen und tiefgesenkten Haupt unter einem Baum stehend und an ihn gelehnt. Ihre Augen waren verschlossen, ihr Gesicht todtenfarb, aber munter. Man brachte sie zurück, und zwang sie (sie thats sehr ungern und nur aus Furcht grausamer Strafe) zur Speise. Sie nahm zwar gern ihre vorige Stellung an, fing aber, aus Furcht oder in Hofnung wieder zu entwischen, mit der Zeit an zu sprechen, bis sie, bey der ersten Gelegenheit, weiterhin in eine andre Gegend des Waldes entkam; wo man sie endlich, zwei Meilen vom Hause ihrer Mutter, in eben der Stellung fand, matt, ausgetrocknet. – Als man sie angrif, verschied sie in den Armen ihres Bruders, und ging

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/155&oldid=- (Version vom 1.8.2018)