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eine utopische Zeit: denn immer wird dem Menschen ein Gewicht nöthig bleiben, das ihn an der Erde hält, damit er nicht in die Lüfte fliege. So lange wir Sinne, Phantasie, Gefühl für Ehre und Schande, Triebe der Sympathie u. f. behalten, wird auch ihr Anbau nöthig seyn. Auch unter dem Auge der Vernunft und dem Gesetz der Güte werden uns die Winde des Lebens, Furcht und Hoffnung, nimmer verlassen, wenn sie gleich nicht als Stürme unser Schiff treiben. In allen Zeitaltern war das Menschengeschlecht ein Baum, der Blätter, Blüthen und Früchte zugleich trug; zu jeder Zeit gab es, dem Charakter nach, große und gute Menschen.

45.

Und auf Charakter, dünkt mich, komme es bei unsrer Exsistenz am meisten an, nicht auf vermehrte Kenntnisse und Wissenschaften. Diese sind feiner geschliffene Werkzeuge, mit denen viel Gutes, aber auch viel Unnützes und Schädliches

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/197&oldid=- (Version vom 1.8.2018)