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2.

„So viel, sagt er, fängt man ziemlich an zu erkennen, daß dem Menschen mit der Wissenschaft des Zukünftigen wenig gedient sey; und die Vernunft hat glücklich genug gegen die thörichte Begierde der Menschen, ihr Schicksal in diesem Leben vorauszuwissen, geeifert. Wenn wird es ihr gelingen, die Begierde, das Nähere von unserm Schicksal in jenem Leben zu wissen, eben so verdächtig zu machen?


Die Verwirrung, die jene Begierde angerichtet hat, und welchen, (wie ich am Oedipus zeigen kann) durch schickliche Erdichtungen des Unvermeidlichen die Alten vorbeugen mußten, sind groß; aber noch weit größer sind die, welche aus den andern entspringen. Ueber die Bekümmerungen um ein künftiges Leben verlieren Thoren das gegenwärtige. Warum kann man ein künftiges Leben nicht eben so ruhig abwarten, als einen künftigen Tag?

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/228&oldid=- (Version vom 1.8.2018)