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wie es sich z. B. zu seiner Anfeurung und Erhebung der sterbende Märtyrer dachte. Ihm war diese umfassende Vorstellung nothwendig und gut; man kann sie auch keinen Trug nennen, wenn sie sich, zwar nicht auf Einmal, aber doch allmälich realisiret. So mit allen Hoffnungen. Sie geben den vollen Akkord an, damit er sich nachher breche und in unerwartet sanfte Gänge der Melodie auflöse. Ich bin also nicht der Meinung jener Philosophen, die die Hoffnung aus der Welt verbannt wissen wollten; der Einrichtung unserer Natur nach ist sie uns eine untentbehrliche Leiterinn durchs Leben, und gewiß giebts Menschen, die sagen können, daß sie nie ganz vergebens gehoffet haben: dies müßte eigentlich nur der Thor sagen. Nur lasse man sichs gefallen, daß uns die Rechnung nicht immer in ganzen Stücken und auf einmal, sondern abschläglich und auch in Münze bezahlt werde. Die Zinsen der Verzögerung kommen dabei gewiß in Anschlag.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/266&oldid=- (Version vom 1.8.2018)