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belehrend, tröstend. Jenem Rechtschaffenen glänzte sein Antlitz vor Gericht, im Gebet, gegen Verläumder und Bösewichter, bei einer frohen Wohlthat, bei einer großmüthig-stillen Verzeihung, im Tode, nach dem Tode. Wem sind nicht ähnliche Eindrücke aus dem Leben, aus der Erzählung eng-umfangener Menschen bekannt? Dem Einsamen z. B. schweben Töne, bleibende Töne im Ohr; sie kommen in Stunden der Niedergeschlagenheit, den Geist erhebend, als Freunde wieder. Siehe da die himmlischen Stimmen und Chöre. Aus Beispielen ist bekannt, daß eine starke Einbildungskraft das Bild seiner selbst gleichsam aus sich heraus zu werfen, und sich sichtbar zu machen vermöge; daher die Erzählungen von Menschen, die sich selbst zu sehen glaubten, daher die Gespräche mit sich selbst, als mit einem guten oder bösen Genius, und bei zarten Gemüthern am liebsten das Gespräch mit einem edlern Ich, einem leitenden, liebenden Schutzgeist.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/277&oldid=- (Version vom 1.8.2018)