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     Sie suchte die Verbannten auf; sie zog
Durch Meer und Inseln gen Jerusalem,

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Und sah das heilge Grab, und betete

Auf Golgatha, und stieg auf Sion, ging
Dann nach Aegypten und nach Nubien,
Stets eine helfende Wohlthäterinn
Der Armen. Endlich fand in Bethlehem

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Sie ihre Ruhestäte. „Hier, wo einst

Der Welten Heil (sprach sie) gebohren ward,
Hier will ich sterben.“

 Und fortan ward sie
Im heiligen Lande aller Sittsamkeit,

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Bescheidenheit und Wahrheit Bild. Sie stand

Mit Tagesfrühe auf, arbeitend stets
Und lernend;[1] stiftete der Andacht Viel,
Doch nicht zum Müßiggange. Sie ergriff
Der Unschuld Herzen, zähmete dann auch


  1. Hieronymus, der ihr Leben geschrieben, weiß ihre Gelehrigkeit nicht gnug zu rühmen. Sie legte ihm oft Fragen vor, die er nicht zu beantworten wußte.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/325&oldid=- (Version vom 1.8.2018)