Seite:Zerstreute Blaetter Band III 083.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

     Ich fühle noch dein offnes Haupt; ich höre
Wie in ihm Uhr und Puls und Seele schlägt;
Sprich, du sein Genius, ob sich durch eigne Schwere
Zu seinem Unglück einst dies Rad bewegt?

45
Ob in den zart-verschloßnen Kammern

Einst Rache selbst dem Schicksal glüht;
Die endlich doch mit Jammern
Ihr Blut gen Himmel sprüht.

     Nein, Säugling, trink’ in deine Adern Säfte,

50
Ruh’ in dein Herz und Licht in dein Gehirn.

Aus deiner Kindheit jetzt entsprießen Manneskräfte,
Doch glänz’ im Manne noch des Kindes Stirn.
Kein früher Zug aus Mutterbrüsten
Sei dir ein Quell von künftger Pein,

55
Von Trug und Stolz und Lüsten,

Die Gift und Wermuth streun.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Dritte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1787, Seite 083. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_III_083.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)