Seite:Zerstreute Blaetter Band III 154.jpg

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andern bemerkt und wie benahmen sich diese?“ Zu Bildung solcher praktischen Klugheit erfand Aesop seine Fabeln: nicht zum Behuf der Abstraktion einer allgemeinen moralischen Wahrheit. Er lehrte die Menschen, sich durch Erinnerung ähnlicher Fälle zurecht zu finden im Leben und legte ihnen in seinen Erfindungen dergleichen ihrer Situation zutreffende Fälle vor. Den Sinn derselben ließ er sie selbst abstrahiren und auf ihre jetzige Lage anwenden; so war nicht nur ihr Räthsel enträthselt, sondern ihre Seele ward auch gewöhnt, in andern Fällen eben so zu denken, sich ähnlicher Vorfälle zu erinnern und aus ihnen Belehrung, Rath, Trost herzuholen. Ich kenne keine nützlichere Bildung menschlicher Seelenkräfte, als diese Uebung der Analogie, ähnliche Fälle zu erdenken und in ihnen das Aehnliche auf treffende Art genau zu bezeichnen. Nicht etwa nur die innere Möglichkeit eines gegebnen Falls wird dadurch anschaulich gemacht und zur

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Dritte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1787, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_III_154.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)