Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Dritte Sammlung | |
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vorzüglich erfunden worden. Wenn man also den griechischen Philosophen auf der Einen Seite tadelt, daß er die Fabel zum blos historischen Beispiel erniedrige; und auf der andern ihm nachspricht, daß die äsopische Fabel nur Beispiel sei und als Beispiel wirke: so thut man ihm, wie mich dünkt, beidemal Unrecht. b)[1] Er spricht hier nur als Rhetoriker, nicht als Philosoph der Dichtung.
Zu seiner Poetik muß man gehen, wenn man seine Begriffe vom eigentlichen Wesen der Dichtkunst erfahren will; und ob er wohl in diesem uns mangelhaft zugekommenen Werk von der äsopischen Fabel selbst nicht redet: so redet er doch von der Dichtung (μυθος) überhaupt und von ihr in Ansehung des Trauerspiels sehr genau und ausführlich. Wir dürfen also nur alles, was der Tragödie eigenthümlich ist, weglassen: so wird
- ↑ b) Jenes ist Leßings, dieses ist Bodmers Meinung.
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Dritte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1787, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_III_177.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)