Seite:Zerstreute Blaetter Band I 139.jpg

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ausdrückend, fein und zart sind, daß Künstler und Dichter oft zu wetteifern scheinen. Sie wetteifern nicht; der Dichter geht nur dem Künstler nach, indem er sein Werk entweder mit einem scharfsinnigen Gedanken ins Licht stellet, oder genau mit der Empfindung zu bezeichnen sucht, die der Künstler erregen wollte. Alle Epigrammen auf Statuen der Götter, der Helden, der Dichter, der Weisen gehören zu dieser Art; insonderheit scheint die zarte einfache Vorstellung der Gemme das Epigramm zu lieben. Es ist ein und derselbe Sinn, der diese Kunstwerke und ihre Exposition in Worten hervorbrachte, beyde also auch mit einem Siegel anmuthiger Einfalt bezeichnet. Ohne das schöne Symbol der Jungfrau auf Sophokles Grabe[1] wäre das Gespräch nicht entstanden, das den Ruhm und die Kunst des Dichters so fein lobet, so treflich schildert.


  1. S. 95. Die Ausleger haben einen Bacchus statt der Jungfrau dahin gebracht, wodurch die Schönheit des Epigramms verlohren geht, und wovon der Text nichts saget.
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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_139.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)