Seite:Zerstreute Blaetter Band I 213.jpg

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Die Echo.

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Glaubet es nicht, gutherzige Kinder, glaubt nicht der Fabel des Dichters, daß die bescheidne Echo je eine ansprechende Bulerin des eitlen Narcissus oder eine schwatzhafte Verrätherin ihrer Göttin gewesen: denn nie zeigte sie sich ja einem Sterblichen, nie kam ein Laut zuerst aus ihrem Munde. Aber höret zu, daß ich euch die wahre Geschichte der Echo erzähle.

     Harmonia, die Tochter der Liebe, war eine thätige Mitgehülfin Jupiters bey seiner Schöpfung. Mütterlich gab sie aus ihrem Herzen jedem werdenden Wesen einen Ton, einen Klang, der sein Innres durchdringet, sein ganzes Daseyn zusammenhält und es mit allen vergeschwisterten Wesen vereinet. Endlich hatte sie sich erschöpft, die gute Mutter und weil sie ihrer Geburt nach nur halb eine Unsterbliche war, sollte sie sich jetzt mit dem Leben von ihren Kindern scheiden. Wie gieng ihr der Abschied so nah! Bittend fiel sie vor

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_213.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)