Seite:Zerstreute Blaetter Band I 227.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

sie alle das erfunden haben, was eigentlich die Genien und die verkleideten Götter für sie erfanden; wenn nur auch die Geschenke ihrer schönsten Erfindungen dem kindischen Geschlecht Nutzen gebracht hätten. Aber nach dem Spruch des Schicksals ward ihnen das Beste zum Aergsten. Bacchus mit seiner gekelterten Traube, Apoll mit seinem Gesang und Tanz, Merkur mit seiner Citter und seiner überredenden Sprache, am meisten endlich Venus mit ihrem Zauberkelch der Freude und Liebe sahen Folgen, an die sie nicht gedacht hatten, und für die sie keine Mittel mehr wußten. Die Thörichten und Verkehrten! sie fingen an, den Gott auch in seiner tiefsten Verkleidung zu erkennen und zu fliehen. Tugenden und Grazien wurden aus allen Spielen verbannt: der Liebreiz und die erröthende Schaam flohen die Wangen der Jugend und für die Stimme des Genius war jedes Ohr taub, jedes Herz eisern. „Wir sind keine Götter, sprachen sie, und wollen unter uns leben. Vernunft ist uns gegeben, und so bedürfen wir keiner einhauchenden Stimme beschwerlicher Lehrer.“

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_227.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)