Seite:Zerstreute Blaetter Band I 294.jpg

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betrogen, und immer unvollendet erblicken. Wir dürsten nach einem Strom reinerer Freuden, und mich dünkt, die Hofnung, das Verlangen selbst sey eine sichere Vorahndung des Genusses. Nehmen Sie die reinsten Verhältnisse auf dieser Welt, die Vater- die Mutterfreuden: mit welchen Sorgen sind sie vermischt, von welchen Schmerzen und Unbequemlichkeiten werden sie unterbrochen, und wie dienen sie doch im Ganzen nur immer dem Bedürfniß, einem fremden höheren Verhältniß! In jener Welt, sagt die Schrift, wird man weder freyen, noch sich freyen lassen, sondern sie sind wie die Engel Gottes im Himmel.[1] Da ist Liebe befreyt von gröbern Trieben, reinere Freundschaft ohne die Abtrennungen und Bürden dieser Erde, wirksamere Thätigkeit mit glücklicher schöner Eintracht, und einem wahrern und ewigen Endzweck, kurz überall mehr Wahrheit, Güte, Schönheit, als uns diese Erde auch bey hundertmaligem Wiederkommen geben könnte. –



  1. Matthäus 22, 30


Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_294.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)