Seite:Zerstreute Blaetter Band I 301.jpg

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Sie handeln vor ihm: er läßt sie handeln und – denket. Sein, „die Fabel lehrt“ muß er alle Augenblicke wiederholen.

     Ch. Und dieß thäte etwas zur Seelenwanderung der Thiere?

     Th. Mich dünkt viel. Der Thierfabel fehlt zur Menschenfabel nichts, als die Sentenz, der allgemeine Satz, die Lehre. Der so bestimmte, sichere, lehr- und kunstreiche Thiercharakter bekommt das Fünklein Licht, das wir Vernunft nennen, und der Mensch ist da. Er ist da, um aus seinem vorigen Thiercharakter sich nun Lehre, Unterricht, Kunst zu sammlen, sich seine vorige Lebensweise mehr oder minder zur Anschauung zu bringen, und wenn er will, daraus klug zu werden. Er soll als Mensch das weise und gut ordnen lernen, was er als Thier kann, mag und will. Mich dünkt, das ist die Anthropogenesie und Palingenesie der Thiere zu Menschen.

     Ch. Das Bild ist artig: aber die Sache? Sollte es so gewiß seyn, Theages, daß jeder Mensch einen Thiercharakter habe?

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_301.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)