Seite:Zerstreute Blaetter Band I 337.jpg

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Daß Liebe die Wesen vereinige, und daß alle Sehnsucht, alles Verlangen nur nach dieser Vereinigung als nach dem einzigmöglichen Genuß abgetrenneter Wesen strebe, dieß hat unser Autor mit so ausgesuchten Beyspielen erwiesen, daß eine zu reiche Nachlese hierüber nur unnützer Ueberfluß wäre. Jede Begierde nach sinnlichem und geistigem Genuß, alles Verlangen der Freundschaft und Liebe dürstet nach Vereinigung mit dem Begehrten, weil es in ihm einen neuen süßen Genuß seiner eignen Wirklichkeit vorempfindet. Die Gottheit hat es weise und gut gemacht, daß wir unser Daseyn nicht in uns, sondern nur durch Reaction gleichsam in einem Gegenstande außer uns fühlen sollen, nach dem wir also streben, für den wir leben, in dem wir doppelt und vielfach sind. Die Menge anziehender Gegenstände, die die Natur um uns legte, sind also von ihr in so mancherley Entfernungen gesetzt, und mit so verschiedenen Graden und Arten der Anziehungskraft begabet, daß eben hierdurch ein reiches und zartes

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_337.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)