Seite:Zerstreute Blaetter Band I 346.jpg

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Die gemeinschaftliche Erziehung der Kinder ist der schöne leitende Zweck ihrer Freundschaft, der noch im grauen Alter beyde süß belohnet. Als zwey verschlungene Bäume stehn sie da, und werden dastehn, umringt vom Kranz jugendlich-grünender Bäume. – Ueberhaupt ist gemeinschaftliches Leben das Mark der wahren Freundschaft: Aufschluß und Theilung der Herzen, innige Freude an einander, gemeinschaftliches Leid miteinander, Rath, Trost, Bemühung, Hülfe für einander sind ihre Kennzeichen, ihre Süßigkeiten und Belohnung. Was für zarte Geheimnisse giebts in der Freundschaft! Delikatessen, als ob die Seele sich in des Andern Seele unmittelbar fühlte, und vorahndend seine Gedanken so richtig erkenne, als obs ihre eignen Gedanken wären. Und gewiß, die Seele hat zuweilen Macht, sie so zu erkennen, so in des andern Herz unmittelbar und innig zu wohnen. Es giebt Augenblicke der Sympathie auch in Gedanken, ohne die mindste äußere Veranlassung, die zwar die Psychologie nicht erklärt,

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_346.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)