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halb zu Ende, da steckte man ihm sein Dessert in die Tasche, – ein eiliger Abschied – dann brachte ihn das Dienstmädchen in die Schule zurück. Wie unangenehm berührten ihn die belebten Strassen. Voll Neid sah er die Kinder der Armen sich frei herumtreiben. Er schielte nach den grossen Anschlagzetteln der Theater, und ärgerte sich, dass er zurück in die Schule musste. Er wäre gern langsam gegangen, aber die Magd trieb zur Eile, sie hatte Ausgangstag.

In der Schulstube war alles dunkel. Man glaubte in einen Keller zu kommen. Als das Dienstmädchen fort ging, wäre er beinahe in Thränen ausgebrochen. Sein Weg ging in den Schlafsaal. Der pion drohte mit Strafe, wenn man beim Treppensteigen zu hart auftrat.

Der Eindruck, den das Schulleben in Huysmans zurückgelassen hat, ist ein bleibender. Es bildet sich geradezu Hass gegen die pions in ihm aus, obgleich er einsieht, dass das Leben dieser Unglücklichen keineswegs beneidenswert sei. Dann beklagt er sich über die schlechte Kost, die in steter Regelmässigkeit abwechselnd, immer dieselbe bleibt: fettes Hammelfleisch und Möhren mit warmem Wasser Montags; Kalbfleisch und schlechter Käse Dienstags; Rüben mit brauner Sauce und Sauerampfer Donnerstags, lauter Speisen, die ihn krank machten; Makkaroni ohne Käse, ungeniessbare Erbsensuppe und in verbranntem Fett gebackene Kartoffeln.

Er äussert sich sehr bitter über die kalten Schlafzimmer, deren Fenster par raison d’hygiène beständig offen blieben; dessenungeachtet herrschte im Sommer eine dumpfe ekelerregende Atmosphäre. Früh um sechs rief der Stiefelputzer die armen Jungen wach. Freilich klagt er auch in echter Knabenungerechtigkeit, wie er sich Jahr aus, Jahr ein an den „plumpen Witzen des Horaz und den dummen Aufschneidereien des Homer“ hätte erlustigen müssen. Diese Worte zeigen, dass Huysmans schon als Knabe die krankhaft unzufriedene Stimmung kannte, die im Anfang des 19. Jahrhunderts die Welt beherrschte, und die man in Deutschland „Weltschmerz“, in England „Spleen“ zu nennen pflegt, eine Stimmung, die den späteren Philosophen höchst wichtige Bausteine für ihre Theorien über den Pessimismus geliefert hat; ein Zug der Zeit, der sich unter dem einförmigen russischen Himmel und unter dem Zusammenwirken von traurigen, historischen Ereignissen zu dem trostlosen Prinzip des Nihilismus entwickelt hat.

Der arme Junge klagt ferner, dass er Racine und Virgil, Cicero und Boileau auswendig lernen muss, dass er dagegen nichts Nützliches lernt; dass er Montags voll Verzweiflung die lange Woche begann, dass erst Donnerstag ein Hoffnungsschimmer in ihm erwachte, endlich werde doch wieder Sonntag kommen. Seine einzige Freude war die grosse Ferienzeit im Juli, und die Vorfreude darauf, wenn die Jungen mit ganz ausserordentlicher Ungeduld sich anstrengten, wie sie über die unglückseligen pions ein Strafgericht ergehen lassen konnten.

Was auch in diesen Klagen übertriebenes sein möge, sicher ist es doch, dass Huysmans keine glückliche Jugend hatte. Er erfuhr nur allzufrüh, dass die Leiden der Armut die Kinder unbemittelter Eltern schwer niederdrücken. Seinen Vater scheint er früh verloren zu haben. Nachdem er die vorgeschriebenen Examen abgelegt hatte, gab er Unterricht an Kinder begüterter Familien. Eine Erbschaft, die ihm ein Bruder seiner Mutter hinterliess, rettete ihn aus der tiefsten Bedrängnis.[1]

  1. Man lese darüber seinen Roman En ménage, Paris, 1881. Charpentier. S. 42-54.
Empfohlene Zitierweise:
diverse: Zeitschrift für französische Sprache und Litteratur. Oppeln und Leipzig: , 1889, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:ZfSL_-_42.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)