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Finger mehr Talent, als Ohnet in der ganzen Hand, aber Huysmans bleibt unbekannt, wird wenigstens nicht gelesen.

Darin liegt der Grund zu Unruhe und Entrüstung. Wie seine Helden André, Cyprien und Des Esseintes sieht auch er voll Ekel herab auf alle geistigen und materiellen Genüsse , die ihm das Leben bieten kann. Alles Bestehende ist wert, dass es zugrunde geht. Die Litteratur der Gegenwart und Vergangenheit, die Malerei ebenfalls, bieten nur sehr ausnahmsweise ein wirkliches Kunstwerk dar. Diese Meinung kann durch eine Menge Stellen in Huysmaus Werken bewiesen werden.

In diesen Zustand der Verbitterung tritt bei Huysmans’ noch die eigentümliche Erscheinung auf, dass er sich trotz seines wundervollen französischen Stils nicht als Franzose fühlt, sich nur schwer in französische Zustände schickt. Seine Antwort auf die an ihm gerichtete Frage, ob er ein guter Patriot sei, lautete:

„Tout ce que je puis vous dire, c’est ceci: je hais par dessus tout les gens exubérants. Or tous les Méridionaux gueulent, ont un accent qui m’horripile, et par-dessus le marché, ils font des gestes. Non, entre les gens qui ont de l’astracan bouclé sur le crâne … et de grands flegmatiques et silencieux Allemands, mon choix n’est pas douteux. Je me sentirai toujours plus d’affinités pour un homme de Leipzig que pour un homme de Marseille. Tout, du reste, tout, excepté le Midi de la France, car je ne connais pas de race qui me soit plus particulièrement odieuse.“[1]

In dieser Antwort steckt etwas Holländisches.

Huysmans kann die lautsprechenden Franzosen mit ihren lebhaften Gebärden nicht ausstehen; er hat auch holländische Landsleute, die mit ihm gleicher Meinung sind. Fassen wir alle seine Meinungen über Land, Kunst, Litteratur etc. zusammen, so sehen wir, dass er in beständiger Feindschaft mit den herrschenden Zuständen lebt, und das macht seine philosophische Weltanschauung natürlich pessimistisch. Und gerade in diesem Punkte liegt der grosse Unterschied zwischen Huysmans und Zola. Zola hat als Schriftsteller einen ernsten Krieg gegen einige der herrschenden, litterarischen Anschauungen geführt, aber er hat doch Ehrfurcht vor dem neunzehnten Jahrhundert und seine mächtigen Errungenschaften auf wissenschaftlichem Gebiet. Seine Rougon-Macquart werden mit ihren zwanzig Teilen ein Gedenkbuch der bürgerlichen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts sein.

Es fällt sogleich auf, dass sich Huysmans in A Rebours von den eigentlichen Naturalisten loslöst, da er in der Geschichte Des Esseintes’ wieder eine jener histoires à dormir debout geschrieben hat, vor denen ihr Meister sie so oft gewarnt hatte. Durch den wunderbaren Zirkellauf des litterarischen Lebens kehrt er zur Wertherstimmung und zu der verzweifelten Weltanschauung des Réné zurück.

Es ist natürlich, dass jemand, der von der ignominieuse mufflerie du présent siècle und von der hideuse société qui nous rançonne spricht, keinen Gefallen an dem gründlichen Studium dieser selben Gesellschaft finden kann. Er schleudert die Feder weg, mit der er seine Croquis Parisiens geschrieben hat und entwirft A Rebours. Er geht jetzt einen ganz anderen Weg. Er stellt sich an die Seite derer, die sich jetzt gegen ihre Zeit aufgelehnt haben, wie Charles Baudelaire, dessen

  1. Meunier, Les hommes d’aujourd’hui. J.-K. Huysmans. Vol. 6, No. 263.
Empfohlene Zitierweise:
diverse: Zeitschrift für französische Sprache und Litteratur. Oppeln und Leipzig: , 1889, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:ZfSL_-_61.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)