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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Die kamen mit dem Abendthau
herüber all von Wildenau;
     dem schönsten unter ihnen
     war Trudchen schön geschienen.

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Auch Berthold von Gertruden war

     vor allen gern gesehen,
sie schienen beide wunderbar
     einander zu verstehen.
Ihr Lieben war ein Blick, ein Gruß,

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ein Händedruck, im Spiel ein Kuß,

     doch mußten oft die beiden
     vom Scherz der Andern leiden.

Die heilige Andreasnacht
     sank auf die Fluren nieder,

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der Winter zog heran mit Macht

     in schneeigem Gefieder;
da saß im Stübchen, traulich warm,
der jungen Leute froher Schwarm,
     die Burschen schnitzten Kannen,

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indeß die Dirnen spannen.


Zuletzt sprach Vater Kilian,
     den Pfeifenstumpf im Munde:
„Ich dächt’, ihr hättet gnug gethan,
     ’s ist in der zehnten Stunde.

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Heut’ ist der Tag der Zauberei,

Erbschlüssel her und Zinn und Blei,
     auf daß die Mädel sehen,
     mit wem zur Trau sie gehen.“

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 060. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_060.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)