Seite:Ziehnert Sachsens Volkssagen II 100.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

25
„Gebt den Tod, den Tod mir Armen,

     da ich einmal strafbar bin!“ –
Doch der Himmel hat Erbarmen
     mit der reu’gen Sünderin.
Denn ein fernes Lichtchen blinket

30
     aus dem Thal herauf zu ihr,

und sie schleppt sich hin, und klinket
     ängstlich harrend an der Thür.

Und ein Greis mit Silberlocken
     öffnet ihr, und läßt sie ein,

35
und betrachtet sie erschrocken

     bei des Lämpchens düsterm Schein.
„Ha, ihr seyd – um Gottes Willen!
     eine Nonn’ im Ordenskleid! –
Weh euch, wehe, wenn im Stillen

40
     ihr der Zell’ entflohen seyd!“


Clara bebt, doch bald getroster
     hebt sie an mit festem Ton:
„„Ja, das bin ich, meinem Kloster
     seit fünf Tagen nun entflohn.

45
Flucht mir nicht, ich will es büßen,

     büßen schwer, so schwer ich kann,
seht mich hier, zu euern Füßen
     fleh’ ich um den Tod euch an!““ –

„Gottes Rache wird nicht schlafen!“

50
     spricht der Greis, „früh oder spat

wird er die Verirrte strafen,
     strafen dich für deine That.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_100.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)