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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Doch was flohst du? O berichte
     sonder Falsch und sonder Scheu

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mir die traurige Geschichte,

     und was dir geschehen sey.

Clara trocknet sich die Zähren
     vom verbleichten Angesicht,
und beginnt: „Ihr sollt es hören,

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     und dann haltet streng Gericht.

Eines frommen Mannes Leben
     hab’ ich, selbst mir unbewußt,
um ein falsches Herz gegeben
     und um trügerische Lust!“

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„Bin aus adligem Geblüte,

     Böhmen ist mein Heimathsland,
mancher Ritter warb sich müde
     um mein Herz und meine Hand.
Doch schon in dem Kindesbette

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     war dem Himmel ich getraut,

eines Klosters heil’ge Stätte
     nahm mich auf als Gottes Braut.“

„Und so lebte ich als Nonne
     sonder Harm und sonder Arg,

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bis sich meines Glückes Sonne

     plötzlich und auf immer barg.
Einst am Sanct Urbanustage
     klopft ein kranker Pilgersmann
unter lauter Schmerzensklage

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     an die Klosterpforte an.“


Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_101.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)