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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Auf des Felsen Scheitel führte
     nie ein Weg; kein Sterblicher,
seit die Erde ist, berührte

260
     diesen heil’gen Raum bisher.

Heilig ist er, unbetreten
     von der argen Menschheit Tritt.
Bete dort, die Engel beten
     alle brünstig für dich mit.

265
Wenn die Sonne niedergehet,

     jeden Abend steig’ hinan,
Gott, der auch dein Herz verstehet,
     bricht zur Gnade dir die Bahn!
Drauf verschwand er. Ich erwachte.

270
     Träume sind zwar eitler Schaum,

doch wen Kummer müde machte,
     dem ist Labsal solch ein Traum.“

Da, von heilger Scheu erfüllet,
     blickt der Alte himmelan:

275
„Ha, im Traumgebild enthüllet

     ihr der Himmel seinen Plan! –
Wie der Engel dir geheißen,
     thue eifrig. Laß uns gehn;
will dir jenen Felsen weisen,

280
     den im Traume du gesehn!“


Eng umzäunt von den Gehölzen
     stand unendlich hoch und steil
der verhängnißvolle Felsen.
     Hierher führt er sie in Eil’.

285
„Ja, er ist’s, den ich im Traume,

     just so, wie ich ihn gesehn;
laßt mich zu dem heil’gen Raume,
     laßt mich, Vater, beten gehn!“

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_108.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)