Seite:Ziehnert Sachsens Volkssagen II 146.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Tellern thränen seine Augen,

130
     traurig giebt er ihm Bescheid:

„Lieber Herr, der Grubenkittel 7)
     ist mein einzig letztes Kleid!“
Hast du Kinder? „Ja, drei Knaben!“
     Und ihr leidet sicher Noth?

135
„Noth? O Gott! seht ich bin feirig,

     weiß mir keinen Bissen Brod!“

Und der Herr greift in die Tasche,
     reicht ihm einen Thaler: Hier!
Nimm, und mag dir’s Segen bringen,

140
     kauf den Kindern Brod dafür!

Spricht’s und geht. Der arme Häuer
     stiert den blanken Thaler an:
„Lieber Gott, vergilt’s ihm reichlich,
     was er jetzt an mir gethan!“

145
Eh’ er heim zur Hütte kehret,

     kauft er Brod und Milch zum Brei
und dem fieberkranken Weibe
     auch ein Fläschchen Arzenei.
Freudig greifen seine Knaben

150
     nach dem langentbehrten Brod,

sie vergessen ihre Thränen,
     alle Kümmerniß und Noth.

Teller heißt die Kinder beten
     für den guten reichen Mann,

155
und erzählt dem kranken Weibe,

     wie der Herr ihm wohlgethan;


[Ξ] 7)

Der Grubenkittel ist das schmutzige Arbeitskleid der Bergleute.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_146.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)