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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

aber von dem Lufgebilde
     in der Kirche schweiget er,
weil für einen armen Häuer

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     solch Gesicht Versuchung wär’.


Doch was er beginnt und schaffet,
     immer bleibt ihm das Gesicht
unverändert vor den Augen,
     wie ein Spuk, und weichet nicht,

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und drei Nächte nach einander

     tief im Traum bedünkt es ihn,
’s wolle ihn das Luftgebilde
     zur aufläss’gen Grube zieh’n.

Und es wird ihm reg’ im Herzen:

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     „Wär’s ein Wink der Vorsehung?

Warum zieht mich’s so zur Grube? –
     Ja, so ist’s! Ich weiß genung.“
Schon am andern Tage muthet 8)
     er die Zeche, und erhält

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vom Bergmeister flugs den Zettel

     für das wen’ge Muthungsgeld.

Freudig für die letzten Pfenn’ge
     kauft er Brod und Grubenlicht,
und verfährt, als Herr der Grube,

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     wohlgemuth die erste Schicht.

Aber er, der einz’ge Häuer,
     bringt gar langsam nur das Ort,
ob er gleich sich mächtig mühet,
     in dem Quergesteine 9) fort.


[Ξ] 8)

Muthen heißt, bei dem Bergmeister um Erlaubniß zum Bebauen einer neu entdeckten Lagerstätte oder aufläss’gen Grube bitten, worauf der Muther für den Muthgroschen den Muthzettel (die schriftliche Erlaubniß alsbald zu bauen) erhält.

9) Quergestein, das Gestein, welches quer zwischen den Gängen geht.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_147.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)