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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Der mir das Höchste äffend wies,

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mich in den Staub dann wieder stieß?

     Heut noch! und dann – mich rächen
     und diese Fesseln brechen!“

So knirscht er wild, ihm kocht das Blut,
     er eilt in die Kapelle.

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Wie stimmt die aberwitz’ge Wuth

     so schlecht zur heil’gen Stelle!
Er betet nicht, er singet nicht,
still flucht er seiner heil’gen Pflicht,
     indeß die frommen Laien

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     ihm tiefe Ehrfurcht weihen.


Ihr guten Leute, bebt zurück!
     Sünd’ ist’s, das Knie hier beugen.
O möchte euer kurzer Blick
     in’s Herz des Frevlers reichen!

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Ha, daß ihr säht, wie Jesus Christ

durch diesen Mönch entheiligt ist!
     Doch nein! Den frommen Glauben,
     es würde ihn euch rauben! –

Der heil’ge Augenblick ist da,

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     der Heiland schwebt gen Himmel!

Mit finstern Wüthrichsaugen sah
     er auf das Volksgetümmel,
das, während er zur Höhe steigt,
andächtig seine Kniee beugt,

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     und sieht, wie voll Verlangen

     die Blicke an ihm hangen.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_170.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)