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wir sagen: die Elektrodynamik des bewegten Systems erscheint dem mitbewegten Beobachter nur insoweit durch die Bewegung beeinflusst, als derselbe im Stande ist, die Ortszeit von der allgemeinen Zeit zu unterscheiden. Die Differenz beider Grössen besteht nach (6) in einem Bruchtheil der dem Vector entsprechenden Lichtzeit, welcher im ungünstigsten Fall ( parallel ) dem Verhältniss von Translationsgeschwindigkeit zu Lichtgeschwindigkeit gleichkommt.

Wenden wir das auf die Bewegung der Erde an: Überall, wo nicht die Ausbreitung von Strahlung selbst das Object der Messung ist, legen wir identische Zeitmomente an verschiedenen Punkten der Erdoberfläche dadurch fest, dass wir die Ausbreitung des Lichts als zeitlos behandeln. In der Optik aber definiren wir diese identischen Zeitmomente dadurch, dass wir für jedes relativ ruhende isotrope Medium eine Ausbreitung in Kugelwellen annehmen.[1] Das heisst: die „Zeit“, welche uns zur Darstellung irdischer Vorgänge thatsächlich dient, ist die „Ortszeit, für welche die Gleichungen I′b bis IVb gelten, – nicht die „allgemeine Zeit“ .

Was erfordert würde, um von experimentell zu unterscheiden, das lässt sich gut übersehen an der Hand eines Vorschlags, den kürzlich W. Wien gemacht hat „zur Entscheidung der Frage, ob sich der Lichtäther mit der Erde bewegt oder nicht.“[2] Durch die Lücken zweier Zahnräder, deren gemeinsame Axe die Richtung der Erdbewegung hat, soll in beiden Richtungen Licht von gleicher Intensität hindurchgesandt werden. Dann sollen beide Räder in Rotation versetzt werden mit gleicher Umlaufsgeschwindigkeit. Wien schliesst: Ruht der Aether, so ist die Lichtzeit verschieden für die beiden Wege; – das ankommende Licht trifft das Rad am Ende seines Weges in verschiedener Stellung auf beiden Stationen; – die Intensitäten müssen verschieden geworden sein.

Nun ist klar, dass für den Versuch nicht gleiche Rotationsgeschwindigkeit gefordert wird, wie Wien meint, sondern gleiche Gesammtdrehung[3] von dem Moment der Beobachtung bei Ruhe bis zum Moment der Beobachtung bei Rotation. Sind die beiden Gesammtdrehungen gleich für gleiche „allgemeine Zeiten“ der beiden Stationen, so erhält man eine Helligkeitsdifferenz bei „ruhendem


  1. Die Verwendung dieser Definition setzt voraus, dass Körper existiren, welche unter allen Umständen ohne Änderung ihrer Dimensionen gedreht werden können. Diese Voraussetzung liegt unserer gesammten Geometrie zu Grunde. Es ist gleichwohl nicht überflüssig, sie zu erwähnen; denn die Elektronentheorie negirt die Existenz solcher Körper.
  2. Phys. Zeitschr. 5, S. 585, 1904.
  3. „bis auf ganze Vielfache des Winkelabstandes zweier Zähne“ wäre eine zulässige, aber unwesentliche Verallgemeinerung.
Empfohlene Zitierweise:
Emil Cohn: Zur Elektrodynamik bewegter Systeme II. Verlag der Akademie (Georg Reimer), Berlin 1904, Seite 1408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zur_Elektrodynamik_bewegter_Systeme_II.djvu/5&oldid=- (Version vom 20.10.2019)