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schafft er, und auf den Gräbern spielt der neue Trieb und denkt kaum mehr des Moders, der darunter schlummert.

Wie viele Menschen glauben dabei auf Erden, daß sie in der That unumgänglich nothwendig wären, daß sie ein wichtiger Zahn im Rad der Zeiten seien, und die Maschine wahrscheinlich auf eine Weile ins Stocken gerathen müsse, wenn Gott sie plötzlich abberufen sollte. Und wenn sie sterben? Missest du das welke Blatt, das grad ein leichter Sommerhauch dem Baum entführt? Siehst du die Lücke wohl im Ocean, wo der hineingetauchte Finger einen Tropfen mit sich nahm? – Die nächsten Lieben, die uns eng umstehn, ja, ihnen fehlen wir – fehlen wir vielleicht für lange Zeit, aber der Welt? Die geht indessen ruhig, rastlos fort; die Zeit rollt unaufhaltsam weiter, die Maschine arbeitet ihren alten Gang, und der Geschiedene ist ersetzt, noch ehe er kaum den letzten Athemzug gethan.

Das aber soll uns nicht hindern, uns – wenigstens so lange wir leben – für höchst wichtige Glieder der Menschenkette zu halten. Unseres eigenen Werths bewußt – denn wer könnte seinen eigenen Werth besser kennen, als jeder einzelne Mensch selber? – ziehen wir unsere Straße und klettern – oder thun wenigstens, als ob wir klettern – höher und höher hinan, wenn nicht in den Augen der Welt, doch in unserer eigenen Meinung. Haben wir den Gipfel dann erstiegen, wie mäßig die Erhöhung auch gewesen, dann finden wir doch etwas – unser Grab, und träumen ruhig einer andern Welt entgegen.

Wohl aber dem, auf dessen Grab mit Recht die Worte stehn: Hier ruht ein guter Mensch von seinem Leben aus. – Leichensteine übertreiben nämlich sehr gern, und die Amerikaner haben sogar ein Sprichwort, nach dem sie sagen: Er lügt wie ein Leichenstein.

Wie es nachher einmal dort drüben wird, ob wir da ebenfalls nach Species und Varietäten eingetheilt, oder nur einfach nach Schafen und Böcken sortirt werden – die Böcke für Heulen und Zähneklappern, die Schafe für die ewige Seligkeit, darüber freilich liegt noch ein dunkler Schleier, und wir können nur harren und hoffen.

Wenn aber auch nur ein Staubkorn im Universum, wollen wir hier unsere Pflicht mit treuem Herzen thun – was wir thun, recht, was wir glauben, wahr, und in diesem Sinne hoff’ ich mit Zuversicht, daß wir dort einmal alle wieder in der Seligkeit zusammenkommen.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Gerstäcker: Zur Naturgeschichte des Menschen. In: Hausblätter, 1860, 1. Band. Adolph Krabbe, Stuttgart 1860, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zur_Naturgeschichte_des_Menschen-Gerstaecker-1860.djvu/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)