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Ob aber die Sprache dem Menschen in der That einen so großen Vorzug vor dem Thiere gibt, wage ich wirklich nicht unbeschränkt zu behaupten. Hätten wir allerdings eine Sprache über die ganze Erde, und verständen entfernte Völker, oder selbst nur unsere nächsten Nachbarn das, was wir ihnen gern sagen wollten, dann allerdings wäre die menschliche Sprache etwas, das den Menschen selber himmelhoch über das Thier erhöbe. Wie die Sache aber jetzt steht, dürfen nur ein paar Leute von verschiedenen Ländern zusammenkommen und die Heidenkonfusion ist fertig. – Auch die Thiere haben – wie wir nicht ableugnen können, ausgenommen wir wollen blind sein – eine ihnen eigenthümliche Sprache untereinander, nach der sie sich vollkommen gut verstehen und ihre Bewegungen regeln. Das Wild, die Zugvögel, ja selbst die Hausthiere besitzen Laute und Zeichen, durch welche sie sich leicht und sicher verständigen können. Die nach Afrika ziehende Schwalbe, wenn sie mit anderen aus den verschiedensten Ländern zusammentrifft, zwitschert ihre Berichte leicht und geschwätzig hin; der Storch klappert seine Erzählungen dem von Schweden oder England gekommenen Verwandten ebenso deutlich her, wie der Kranich im Vorüberstreichen die Kameraden aus Deutschland und Italien zusammenruft. Nur wo verschiedene Thiergattungen mitsammen leben müssen, kommt es zu Zänkereien, und das erklärt auch die ewige Streitsucht zwischen Hunden und Katzen. Sie verstehen eben einander nicht.

Wie dem aber auch sei, der Mensch hat seine Sprache mit solcher Meisterschaft vervollkommnet, daß ihn das Thier auf dieser Höhe nicht erreichen kann, und wir mögen sie deßhalb immer als einen Vorzug betrachten. Der Mensch ist nämlich im Stande, mit kunstvoll gefügten Worten alles zu beweisen und zu rechtfertigen, was er für gut findet, ja er kann sogar – eine Fähigkeit, die dem Thier vollständig abgeht – damit lügen. – Außerdem braucht der civilisirte Mensch, um sich von einer Stelle zur andern zu bewegen, einen Paß, zu seiner Fortpflanzung eine polizeiliche Erlaubniß, und trägt – das sicherste Merkmal von allen – Kleider, deren Form von einer besondern Varietät des genusSchneider genannt – bestimmt wird. – Soweit seine physischen Unterscheidungszeichen von den übrigen Säugethieren.

Psychisch dagegen steht er hoch über dem ihm untergeordneten Thier, oder hat sich wenigstens eben durch seine geistigen Kräfte über dasselbe emporgeschwungen. Aelteren Uebertragungen und Bildern zufolge sollen nämlich Adam und Eva im Paradies mit den dort heimisch gewesenen

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Gerstäcker: Zur Naturgeschichte des Menschen. In: Hausblätter, 1860, 1. Band. Adolph Krabbe, Stuttgart 1860, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zur_Naturgeschichte_des_Menschen-Gerstaecker-1860.djvu/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)