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Zwei Feine Gleichnisse von der Weisheit dieser Zeiten zu Nutz und Frommen des lieben Christenvolkes mit einer Vorrede und Randglossen versehen

Mein Kreuz ein Schrecken ist für den,
Der nichts von eigner Schuld will sehn,
Mein Königtum macht niemand frei,
Der nicht weiß, welch ein Sklav er sei.

Was meine Dornenkron’ besag’,
Der Welt ihr Haß selbst sagen mag;
Will sie den Richter scheuen nicht,
Geh sie mit sich ins Selbstgericht.

Dem freilich dünkt Gehorsam schlecht,
Der seines Willens Narr und Knecht;
Und der Arznei weiß niemand Dank,
Fühlt er sich nicht zum Tode krank.

Der weiß dann, daß sie nicht erquickt,
Bevor man vor sich selbst erschrickt
Und zu dem Arzt in tiefem Schmerz
Nichts bringt als ein zerschlagen Herz.

Dies fehlt dir, arme, arme Zeit,
Voll Selbstlob und Hoffärtigkeit:
Du fühlst nicht, wes du dürftig bist,
Bis daß zermalmt dein Hochmut ist.

Drum an die Thüre pocht mit Wucht
Ein Finger, den du nicht gesucht;
In Wetterwolken fährt einher,
Der gerne dein Erbarmer wär’.

Es braust die Flut, der Sturm tobt laut
Ums Haus, das du auf Sand gebaut;
Sieh, ob die Säulen du hältst fest,
Wenn Gott die Blitze schmettern läßt!

Es muß ja brechen, brechen muß
Erst deiner Götzen morscher Fuß,
Eh deiner Lippen Selbstlob schweigt,
Und sich dein Haupt zum Staube neigt.

Wenn bricht, was du als Halt geschaut,
Wenn stürzt, worauf du stolz gebaut,
Wenn fällt das eitle Stützwerk dein,
Dann habe acht! dein Herr zieht ein.

Empfohlene Zitierweise:
: Zwei Feine Gleichnisse von der Weisheit dieser Zeiten zu Nutz und Frommen des lieben Christenvolkes mit einer Vorrede und Randglossen versehen. Abteilung II der Gesellschaft für innere Mission im Sinne der lutherischen Kirche, Nürnberg 1874, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Feine_Gleichnisse_von_der_Weisheit_dieser_Zeiten.pdf/11&oldid=- (Version vom 29.10.2017)