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Bürger, daß er irgend eine Form produktiver Arbeit für das Gemeinwohl beisteuert und sich müht und rackert, damit das Tagwerk getan werde. Die Gesellschaft verzeiht oft dem Verbrecher; sie verzeiht nie dem Träumer. Die schönen, zwecklosen Empfindungen, die die Kunst in uns aufregt, sind in ihren Augen hassenswürdig, und so völlig sind die Menschen von der Tyrannei dieses schrecklichen Gesellschaftsideals beherrscht, daß sie auf Ausstellungen und an andern Orten, die dem allgemeinen Publikum geöffnet sind, schamlos auf einen zukommen und mit lauter Stentorstimme fragen: „Was tun Sie?“ während doch: „Was denken Sie?“ die einzige Frage ist, die ein irgend gebildeter Mensch einem andern zuflüstern dürfte. Sie meinen es gut, ohne Zweifel, diese ehrenwerten, strahlenden Leute. Vielleicht ist das der Grund, warum sie so überaus langweilig sind. Aber irgend jemand sollte ihnen beibringen, daß zwar nach der Meinung der Gesellschaft Beschaulichkeit die schwerste Sünde ist, deren ein Bürger sich schuldig machen kann, daß aber nach der Meinung der höchsten Kultur sie das eigentliche Geschäft des Menschen ist.

Ernst: Beschaulichkeit?

Gilbert: Beschaulichkeit. Ich sagte dir vorhin, es sei viel schwerer, über eine Sache zu reden als sie zu tun. Laß mich dir jetzt sagen, daß ganz und gar nichts zu tun das schwerste Ding in der Welt ist, das schwerste und das geistigste. Für Platon und seine leidenschaftliche Hingebung an die Weisheit war dies die edelste Form der Energie. Für Aristoteles und seinen leidenschaftlichen Hang zum Wissen war dies ebenfalls die edelste Form der Energie. Dazu brachte die leidenschaftliche Sehnsucht nach der Heiligkeit die Heiligen und Mystiker der Zeiten des Mittelalters.