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Ernst: Wir haben also unser Dasein, um nichts zu tun?

Gilbert: Zum Nichtstun haben die Auserwählten ihr Dasein. Tun ist begrenzt und relativ. Unbegrenzt und absolut ist die Vision dessen, der still sitzt und wartet, der in Einsamkeit wandelt und träumt. Aber wir, die am Ende dieser wunderbaren Zeit geboren sind, sind zugleich zu gebildet und zu kritisch, zu feingeistig und zu verlangend nach erlesenen Genüssen, um irgend welche Spekulationen über das Leben an Stelle des Lebens selbst zu nehmen. Für uns ist die Citta divina farblos, und die fruitio Dei ohne Sinn. Die Metaphysik genügt unserm Temperament nicht, und religiöse Ekstase ist veraltet. Die Welt, durch die der akademische Philosoph dazu kommt, „alle Zeit und alles Sein zu gewahren“, ist nicht wirklich eine Idealwelt, sondern lediglich eine Welt abstrakter Ideen. Wenn wir uns ihr nahen, erfrieren wir in der eisigen Mathematik des Denkens. Die Straßen der Gottesstadt sind uns jetzt nicht geöffnet. Ihre Tore werden von der Ignoranz bewacht, und wenn wir passieren wollten, müßten wir alles abgeben, was in unsrer Natur höchst göttlich ist. Es ist genug, daß unsere Väter gläubig waren. Sie haben die Gläubigkeit der Spezies erschöpft. Ihr Vermächtnis an uns ist der Skeptizismus, vor dem ihnen bange war. Hätten sie ihn in Worte gebracht, er lebte in uns nicht als Gedanke. Nein, Ernst, nein. Wir können nicht zu den Heiligen zurückkehren. Es ist viel mehr vom Sünder zu lernen. Wir können nicht zum Philosophen zurückgehen, und der Mystiker leitet uns irre. Wer – Walter Pater sagt das einmal – möchte den Schwung eines einzigen Rosenblattes gegen das formlose, unfühlbare Sein eintauschen, das Platon so