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in der Kunst, das sich dir nicht enthüllt, und denke daran, daß in der Kritik wie in der schöpferischen Kunst das Temperament alles ist, und daß die Richtungen der Kunst nicht nach der Zeit ihres Entstehens, sondern nach den Temperamenten, an die sie sich wenden, historisch geordnet werden sollten.

Ernst: Deine Erziehungstheorie ist köstlich. Aber was für einen Einfluß wird dein Kritiker, der in dieser erlesenen Umgebung aufwächst, besitzen? Glaubst du wirklich, daß ein Künstler je von der Kritik berührt wurde?

Gilbert: Der Einfluß des Kritikers wird die bloße Tatsache seiner Existenz sein. Er repräsentiert den reinen Typus. In ihm sieht sich die Kultur des Jahrhunderts verwirklicht. Du mußt nicht von ihm erwarten, daß er irgend ein anderes Ziel habe als die Vervollkommnung seiner selbst. Die Forderung des Geistes ist, wie gut gesagt worden ist, lediglich, sich lebendig zu fühlen. Der Kritiker kann in der Tat den Wunsch haben, Einfluß auszuüben, aber, wenn das so ist, befaßt er sich nicht mit dem Individuum, sondern mit dem Zeitalter, das er zur Bewußtheit erwecken und sich entsprechend machen will, indem er in ihm neue Wünsche und Gelüste hervorruft und ihm sein eigenes weiteres Schauen und seine edleren Stimmungen leiht. Die gegenwärtige Kunst beschäftigt ihn weniger als die Kunst von morgen, weit weniger als die Kunst von gestern, und was den oder jenen Menschen angeht, der es sich zurzeit sauer werden läßt, was gehen ihn diese fleißigen Leute an? Sie tun ohne Frage ihr Bestes, und so ist es in Ordnung, daß wir das Schlechteste von ihnen empfangen. Mit dem besten Willen wird immer das schlechteste Werk getan. Und überdies, lieber Ernst, wenn ein Mann