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Zeit, mit all den schlimmsten noch gesteigerten und auf die Spitze getriebenen Fehlern des Künstlers. Natürlich räume ich sehr gerne ein, daß das Leben sehr oft denselben Fehler begeht. Es bringt seine falschen Renés und unechten Vautrins hervor, ebenso wie die Natur uns an einem Tag einen zweifelhaften Cuyp und an einem andern einen mehr als fraglichen Rousseau beschert. Die Natur jedoch ärgert uns mehr, wenn sie etwas derart tut. Es scheint so dumm, so trivial, so überflüssig. Ein falscher Vautrin könnte entzückend sein. Ein zweifelhafter Cuyp ist unerträglich. Jedoch möchte ich nicht zu streng mit der Natur ins Gericht gehen. Ich hätte den Wunsch, der Kanal, besonders bei Hastings, möchte nicht ganz so oft wie Henry Moore aussehen, graue Perle mit gelben Lichtern, aber wenn erst die Kunst abwechslungsreicher geworden ist, wird es ohne jeden Zweifel die Natur auch werden. Daß sie die Kunst nachahmt, wird, denke ich, ihr schlimmster Feind jetzt nicht mehr leugnen. Es ist das einzige, daß sie einem zivilisierten Menschen noch etwas nahe bringt. Nun, habe ich meine These zu deinem Gefallen bewiesen?

Cyrill: Du hast sie zu meinem Mißfallen bewiesen, was besser ist. Aber selbst diesen seltsamen Nachahmungstrieb in Leben und Natur zugegeben, das wirst du doch gewiß anerkennen, daß die Kunst dem Jahrhundert den Abdruck seiner Gestalt zeigt, den Geist ihrer Zeit ausdrückt, die moralischen und sozialen Bedingungen, die es umgeben und unter deren Einfluß sie zustande kam.

Vivian: Gewißlich nicht! Die Kunst drückt nie etwas anderes aus als sich selbst. Das ist der Fundamentalsatz meiner neuen Ästhetik; und das ist es, mehr als

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)