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alle guten Mütter besondere Begabung haben, aber sie ist noch weiterer Entwickelung fähig und ist bisher von der obersten Schulbehörde in bedauerlicher Weise unbeachtet gelassen worden. Lügen zum Zwecke eines Monatsgehaltes ist natürlich in Fleet Street wohlbekannt, und der Beruf eines Leitartiklers hat seine Vorteile. Aber es soll eine etwas triste Beschäftigung sein, und sicherlich führt sie zu nicht viel mehr als einer Art prahlerischer Obskurität. Die einzige Form des Lügens, die ganz über jeden Vorwurf erhaben ist, ist das Lügen um seiner selbst willen, und die höchste Stufe davon ist, wie wir bereits ausführten, das Lügen in der Kunst. Gerade wie die, die nicht Plato mehr als die Wahrheit lieben, nicht über die Schwelle der Akademie kommen können, so lernen die, die die Schönheit nicht mehr als die Wahrheit lieben, nie das innerste Gemach der Kunst kennen. Der solide stupide britische Intellekt liegt gleich der Sphinx in Flauberts prächtiger Erzählung im Wüstensand, und die Phantasie, La Chimère, tanzt um ihn und lockt ihn mit ihrer falschen, flötenden Stimme. Er kann sie jetzt nicht hören, aber der Tag wird kommen, wo wir alle von den öden modernen Romanen zu Tode gelangweilt sind, und dann wird er ihr lauschen und den Versuch machen, sich ihrer Schwingen zu bedienen.

Und wenn dieser Tag graut oder der Abend sich herabsenkt, wie froh werden wir alle sein! Tatsachen werden für schimpflich gehalten werden, die Wahrheit wird in ihren Fesseln trauern, und die Romantik in all ihrem Wunder wird wieder ins Land kommen. Die ganze Welt wird sich vor unsern überraschten Blicken verwandeln. Aus dem Meer werden Behemoth und Leviathan emporsteigen und werden um die hochgetürmten Galeeren schwimmen,

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/50&oldid=- (Version vom 1.8.2018)