Seite:Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben.pdf/58

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Leben in Stein gewandelt hat, sie haben der Menschheit nicht mehr Freude gemacht als jene Selbstbiographie, in der der prächtigste Halunke der Renaissance die Geschichte seiner Herrlichkeit und seiner Schande erzählt. Die Meinungen, der Charakter, die Leistungen eines Mannes tun sehr wenig zur Sache. Er kann ein Skeptiker sein wie der edle Sieur de Montaigne, oder ein Heiliger, wie der strenge Sohn der Monika; wenn er uns seine eigenen Geheimnisse erzählt, wird er immer unsere Ohren zum Lauschen und unsere Lippen zum Schweigen bringen. Die Denkart, die Kardinal Newman repräsentiert – wenn eine Denkart heißen kann, was geistige Fragen dadurch zu lösen sucht, daß der Intellekt ausgeschaltet wird – wird, glaube ich, kein langes Leben haben, kann es nicht haben. Aber die Welt wird nie aufhören, diese gepeinigte Seele auf ihrem Gang von Dunkelheit zu Dunkelheit mit Spannung zu begleiten. Die einsame Kirche in Littlemore, wo der „feuchte Hauch des Morgens weilt und wenig Andächtige“, wird der Welt immer geheiligt sein, und jederzeit, wenn die Menschen auf der Mauer von Trinity gelbes Löwenmaul blühen sehen, werden sie an das fromme Studentlein denken, das in der sicheren Wiederkehr der Blumen eine Prophezeiung erblickte, daß er immer ein Kämpfer für die gnadenreiche Mutter seines Lebens bleiben werde – eine Prophezeiung, die der Glaube in seiner Weisheit oder Torheit nicht zur Erfüllung kommen ließ.

Ja, es liegt etwas Unwiderstehliches in der Selbstbiographie. Der armselige, harmlose, selbstgefällige Sekretär Pepys hat sich in die Gesellschaft der Unsterblichen hineingeschwatzt, und im Bewußtsein, daß die Indiskretion der bessere Teil der Tapferkeit ist, läuft er geschäftig

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/58&oldid=- (Version vom 1.8.2018)