Seite:Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben.pdf/59

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und vergnügt unter ihnen herum, angetan mit dem „rauhen Purpurmantel mit Goldknöpfen und Spitzenschleifen“, den er uns so gern beschreibt, und plaudert zu seinem eigenen und unserem großen Ergötzen von dem indischblauen Unterrock, den er seiner Frau kaufte, von dem „guten Schweinsgeschlinge“ und dem „famosen französischen Kalbsfrikassee“, die er so gerne aß, von seinem Kugelspielen mit Will Joyce und seinem „Flanieren hinter schönen Damen“, seiner Rezitation des Hamlet an einem Sonntag und seinem Bratschenspiel an Wochentagen, und andern leichtfertigen oder gewöhnlichen Dingen. Selbst im wirklichen Leben ist der Egoismus nicht ohne Reiz. Wenn die Menschen über andere Leute zu uns reden, sind sie gewöhnlich langweilig. Wenn sie von sich selbst reden, sind sie fast immer interessant, und wenn man sie so leicht zuklappen könnte, wenn sie ermüdend werden, wie man ein Buch schließen kann, wenn man genug davon hat, wären sie ganz vollkommen.

Ernst: Das ist ein wackeres Wenn, wie Touchstone sagte. Aber ist es im Ernst dein Wunsch, daß jeder sein eigener Biograph werden soll? Was würde da aus unsern eifrigen Biographienschreibern werden?

Gilbert: Was ist aus ihnen geworden? Sie sind die Pest des Jahrhunderts, nicht mehr und nicht weniger. Jeder große Mann hat heutzutage seine Jünger, und es ist immer Judas, der die Biographie schreibt.

Ernst: Mein Lieber!

Gilbert: Leider ist es wahr. Früher haben wir unsere Helden heilig gesprochen. Jetzt ist es üblich, sie platt zu reden. Billige Ausgaben großer Bücher können ganz willkommen sein, aber billige Ausgaben großer Männer sind ganz niederträchtig.

Ernst: Darf ich fragen, Gilbert, auf wen du anspielst?

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/59&oldid=- (Version vom 1.8.2018)