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Gilbert: O, auf all unsere Literaten aus zweiter Hand. Eine Menge Leute liegen uns auf dem Halse, die immer, wenn ein Dichter oder Maler dahingegangen ist, wie der Beerdigungsagent ins Haus stürmen und dabei vergessen, daß ihr einziges Amt wäre, den stummen Leichenbitter zu spielen. Aber reden wir nicht von ihnen. Sie sind die Leichenschänder der Literatur. Der Staub gehört dem einen und die Asche einem andern, und die Seele ist außer ihrem Bereich. Soll ich dir jetzt Chopin spielen oder Dvorák? Soll ich dir eine Phantasie von Dvorák spielen? Er schreibt leidenschaftliche, seltsamfarbige Sachen.

Ernst: Nein; jetzt gerade brauche ich keine Musik. Sie ist viel zu vage. Außerdem führte ich gestern abend die Baronin Bernstein zu Tisch, und so reizend sie in jeder andern Hinsicht ist, bestand sie darauf, so über Musik zu reden, als ob sie tatsächlich deutsch geschrieben wäre. Nun, die Musik mag so oder so klingen, aber ich sage mit Vergnügen, nicht im mindesten klingt sie wie deutsch. Es gibt wirklich Formen des Patriotismus, die ganz erniedrigend sind.

Nein, Gilbert, spiele nicht mehr. Komm her und plaudere mit mir. Plaudere mit mir, bis der weißgehörnte Tag durch die Scheiben blickt. Es ist etwas so Schönes in deiner Stimme.

Gilbert (steht vom Klavier auf): Ich bin heute abend nicht zum Plaudern aufgelegt. Wie häßlich von dir, zu lächeln! Wirklich nicht. Wo sind die Zigaretten? Danke. Wie herrlich die Narzissen sind! Sie sehen aus wie aus Bernstein und kühlem Elfenbein gemacht. Sie sind wie Kunstwerke aus der besten griechischen Zeit. Was für eine Geschichte in den Bekenntnissen des reuigen Akademikers hat dich zum Lachen gebracht? Erzähle sie

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/60&oldid=- (Version vom 1.8.2018)